Sonntag, 4. Januar 2009

Pegue e Puxe

Also wenn wir so weiter posten. Mannomann!

Dieses Posting ist lang. Da müsst ihr Euch watt Zeit für nehmen. Unter diesem Posting stehen noch andere geniale Posts von heute. Z. B. vom Camelot über seine Erlebnisse in Belgien. Also wer es erst mal kurz mag: runterscrollen! Aber nun zu etwas ganz anderem...

Habe ich Euch schon mal von Normen erzählt? Nein? Also: Normen ist ein guter Freund von mir. Wir haben früher mal für die gleiche Motorradzeitung gearbeitet. Vor nun fast fünf Jahren hat er sich auf seine Yamaha gesetzt und ist auf Weltreise gegangen. In Kenia wurde er ausgeraubt, in Südafrika hat er bei einem Ferrari-Sammler gewohnt. In der Antarktis hat er neben Robben gelegen und in Argentinien ist er mit einem Rennfahrer und seinem Tross von Rennen zu Rennen gefahren. Letzten Oktober hat er in Bolivien geheiratet und lebt jetzt dort. Hin und wieder schreibt er Mails. Eine Art Reisetagebuch. Er hinkt mit dem Tagebuch der Zeit mächtig hinterher. Heute kam wieder eine Mail, die ich besonders deshalb schön fand, weil sie so ein Kontrapunkt zu unserem derzeitigen Wetter ist und weil Normen sich die Frage stellt, warum man eigentlich so versessen auf Arbeiten sein kann. Hier nun seine Mail im Original:

Pegue e Puxe

Die Frage muss erlaubt sein: Bedarf es wirklich einer Einleitung bei einer Kurzgeschichte? Kann man sich nicht einfach mal die ganzen Erklaerungen sparen, um einfach da einzusteigen, wo es interessant wird? Ich denke schon. Streichen wir also die Passagen, wo erklaert wird, wer diese Iris eigentlich ist, die mich da zwecks Urlaub begleitet. Fest steht, dass sie im Gegensatz zu Heiko (Siehe Geschichte 77) die Sonne mitgebracht hat, was den Verlauf dieser Geschichte geradezu dramatisch veraendert, da Strandurlaub moeglich wird. Und davon gibt es in Brasilien bekanntlich genug. Fahren wir daher einfach mal, oder nein, lassen wir die Iris einfach mal das Moped fahren, Richtung Norden. Dort naemlich, in einer Stadt namens Fortaleza im Staat Ceará, beginnt ihr Brasilien-Urlaub bei einer Person, dessen Namen klassischer fuer einen Brasilianer nicht sein koennte, bei Franz.

Franz ist wieder so ein Ténéré-Freak, weshalb ein Ténéré-Freak wie ich natuerlich herzlich wie alte Kumpels aufgenommen werde. Selbstverstaendlich kennt er seine Haustuere sowie den Staat drum herum und verschreibt uns daher spontan einen traumhaften Strandurlaub, mit tollen Endurostrecken und Lagunenaufenthalt. Folgen wir daher den Anweisungen des Fachpersonals und nisten uns zunaechst nur knappe 25 Kilometer von Fortaleza entfernt am Strand ein, wo praktischerweise ein schickes, aber leeres kleines Hotel steht, die ausgesprochen leckere Nahrungsmittel servieren, die unpraktischerweise schick, aber klein sind.

Grundsaetzlich koennte man es hier ein paar Wochen aushalten, ich gar ein paar Monate, aber leider haben Besucher aus Deutschland – in diesem Fall die Iris – ja bekanntlich nur ein paar Wochen im Jahr Zeit fuer sich selber, was das Geniessen von schoenen Gegenden und einzigartigen Momenten unnoetig erschwert. Da sollte man auch mal was dran aendern, wie ich es im Laufe vieler Jahre ohne derartige Beschraenkungen zweifellos feststellen konnte, da es eindeutig zum allgemeinen Wohlbefinden beitraegt. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen, meinen Standpunkt zum Thema „Reisen statt Arbeiten“ vielleicht mal genauer klarzumachen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie genau mein Standpunkt dazu ist, habe aber das Gefuehl, dass ich ihn irgendwie klarmachen muesste. Hhmm.

Drehen wir den Spiess doch mal um: was veranlasst einen Menschen, eben NICHT auf Weltreise zu gehen? Ist es stets die Sorge um die Rente, die man sowieso nicht mehr in 30 Jahren bekommt? Die Krankenversorgung im Ausland, Diebstaehle aller Art, ungewohntes Essen oder gar nicht gewaschener Salat und Eiswuerfel in der Cola? Ist man wirklich ein Aussteiger, wenn man einfach mal mehr Zeit auf einem Moped verbringt, als auf der Arbeit? Man koennte ja am Ende der Reise wieder Richtung Arbeitsplatz fahren, um mal zu sehen, ob man noch gebraucht wird. Im guenstigsten Fall – was eventuell Auslegungssache ist – wurde man durch eine x-beliebige Person ersetzt und hat noch mehr Freizeit als vorher, kann die Reise also fortsetzen, dort, wo es einem bis dahin am besten gefallen hat. Was bleibt ist die Tatsache, dass man einen Arbeitsplatz geschaffen hat, da man selber ja im Ausland ist und irgendwer die Arbeit nun mal machen muss. Gerade in diesen angeblich wirtschaftlich so schlechten Zeiten ein weiterer Grund sich noch besser zu fuehlen, wenn man sich ein One-Way-Ticket nach irgendwohin kauft – natuerlich nur um die Wirtschaft anzukurbeln.

Mag sein, dass das irgendwie weit hergeholt ist, aber solche Gedanken hat man nun mal, wenn man in traumhafter Umgebung hockt und die einzige Sorge des Tages in die Kategorie faellt, was man wann essen will und welche Getraenke man dazu noch einkaufen oder liefern lassen muss. Warm ist es sowieso, das Wasser tuerkis bis durchsichtig und wenn nichts irres dazwischen kommt, wird man auch an diesem Abend wieder einen tollen Sonnenuntergang erleben duerfen.

Zeitmangel, nichts anderes laesst uns hier wieder die Ténéré beladen, um Richtung Sueden den naechsten schoenen Flecken wieder anzusteuern. Ein Schild weist uns darauf hin, dass wir nun den Staat Rio Grande do Norte betreten, wo eine Fahrt am Strand entlang scheinbar nicht nur geduldet, sondern fast schon erwuenscht wird. Doch leider werden wir nach nur ein paar hundert Kilometern vorzeitig durch die aufkommende Flut gestoppt, die sich schon unangenehm hoch auf Getriebehoehe bewegt. Dummerweise entfernt sich in diesem Fall der Asphaltweg vom Strand, weshalb wir den Norden von Natal ansteuern, eine Grossstadt, dessen Namen aus dem Portugiesischen uebersetzt kurz und buendig „Weihnachten“ heisst. Zuvor jedoch weisen mehrere gut sichtbare Schilder auf diverse „Lagunas“ hin, was sich fuer Mitteleuropaeer immer gut anhoert, da es scheinbar was mit Exotik und warmen Wasser zu tun haben koennte.

Beides findet man in Deutschland einzeln relativ selten, beides zusammen auf gar keinen Fall. Wir fahren zum Eingang des Parks und muessen das Motorrad ueberraschenderweise abstellen, da hier tatsaechlich der Naturschutz beginnt. Freundlicherweise verlaesst die Anwesende Besuchergruppe das Gebiet, als wir selbiges betreten, was uns eine private Lagune beschert. Wie abgesprochen hoert der Wind auf, die Sonne kommt raus, und aus dem Dunkelblau des Wassers, das von riesigen Sandduenen eingeschlossen ist, wird etwas durchsichtiges, leicht ins Gruene tendierende. Ohne mich wiederholen zu wollen, aber auch hier kann man es fuer laenger aushalten. Die Bandbreite der Freizeitgestaltung reicht von Baden, Sonnen, Ausruhen ueber Duenenklettern, Duenenwanderungen, Duenenrunterspringen bis hin zum Kopf-ins-Wasser-stecken-um-kurz-darauf-ein-Foto-zu-machen. Mit etwas Fantasie lässt sich hier sicherlich noch mehr erleben,, uns aber reichen die Erwaehnten bis zum Sonnenuntergang. Ein abschliessender Spaziergang am nur wenige Kilometer entfernten Strand endet – wenig ueberraschend – in einem kleinen, aber dennoch schicken Restaurant die leckeres Essen servieren.

Menschen in unserer Lage mach sich nun nur noch Gedanken darueber, wie lange man sich diesen paradiesischen Bedingungen stellt, und dass es kaum vorstellbar sei, dass ein Restaurant weiter suedlich einen noch besseren Fisch servieren kann. Nun, sonst haben wir keine Sorgen, hoechstens der sich naehernde Rueckflug von Iris drueckt ein wenig die Stimmung, daher sitzen wir schon einen Tag spaeter am Strand von Natal-Stadt und nur zwei Tagesfahrten spaeter wieder am Ausgangspunkt unserer Reise in Salvador de Bahia.

Aber auch da kann man am Strand sitzen, Meer, Sand und Sonne geniessen. Leute spielen Gitarre, singen was von „Pegue e Puxe“, was auf Nachfrage „Anfassen und Ziehen“ bedeutet, total bescheuert klingt und mich noch wochenlang beschaeftig, wie man mit diesen Worten den Refrain fuer einen Song gestalten kann. Mir faellt einfach nichts ein, was auch nur halbwegs Sinn ergibt. Aber ich habe ja Zeit mir ueber so einen Quatsch nachzudenken, im Gegensatz zur Iris, die jetzt gerade wieder im Flieger in die Heimat sitzt, wo sie garantiert keine Zeit hat, sich ueber so was Gedanken zu machen. Wer weiss, vielleicht peguen und puxen die Deutschen inzwischen auch. Man weiss es nicht.

Normen

Nachtrag: Inzwischen hat Normen erfahren was pegue e puxe heißt. Es bedeutet, man soll den Joint nehmen und dran ziehen. Also diese Brasilianer...

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